„Tischgespräch“: Nicola Lubitsch liebt das Lubitsch-Land - WELT (2024)

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Die Wahl des Berliner Lokals ist diesmal ziemlich klar. Denn welche Tochter hat schon das Privileg, in einem nach dem eigenen Vater benannten Bistro zwischen ihn personalisierenden Speisen sich entscheiden zu können? Zuletzt war Nicola Lubitsch-Goodpaster 1992, zum 100. Geburtstag ihres Erzeugers, im Lubitsch, das im Charlottenburger Ausgeh-Bermudadreieck um den Savigny-Platz mittenmang liegt. Inzwischen haben die Besitzer gewechselt, aber die geruhsame Genügsamkeit an diesem freundlich unprätentiösen Ort, wo auch Staatsopernintendant Jürgen Flimm gern sein Mittagsmenü einzunehmen pflegt, ist geblieben.

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Hier also, zwischen kleinen Boutiquen und diversen anderen Lokalitäten, hätte die forsch und neugierig auf dieses ihr auch nach wiederholten Besuchen fremde, aber durch die Erzählungen ihres Vaters auch altvertraute Berlin blickende 74-Jährige sich für das Frühstück Lubitsch oder den Lubitsch Burger entscheiden können. Es wurde auf der übersichtlichen Karte dann doch die Kalbsboulette mit Grünem statt Kartoffelsalat. Ihre Tochter Amanda Goodpaster, die beim Film arbeitet, und mitgekommen ist, um anlässlich der bis zum 28. Juli im Babylon-Kino laufenden Lubitsch-Retrospektive die Mutter zu betreuen, wählt Limettenrisotto. Also muss der Redakteur in den Lubitsch Burger beißen, was er gern tut, weil dieser klassisch gut geraten ist und viel Fleisch bietet.

Der Lubitsch Burger wird gutgeheißen

„Der Burger und mein Vater, doch, das geht“, befindet Nicola Lubitsch, die neun Jahre alt war, als dieser starb. „Er war sehr amerikanisch, sprach nur Englisch, aber hatte natürlich noch viel von der alten Welt in sich.“ Die sie sich freilich erst erarbeiten musste und noch immer nicht wirklich verinnerlicht hat. „Ich bin und bleibe eine Amerikanerin, mit deutschen, englischen und Schweizer Wurzeln. Es sei nicht einfach, das gibt sie frank und frei zu, immer nach einem Vater gefragt zu werden, der eine Ikone des Kinos war und – zu ihrer Befriedigung – das immer noch ist, „wenn auch nur bei den Wissenden, aber die Blockbuster-Kunden interessierten ihn schon damals nicht, obwohl er doch so erfolgreich war“.

Nicola Lubitsch ist ein Scheidungskind, sie lebte abwechselnd bei der Mutter in New York und beim Vater in Los Angeles. „Er hat mich verwöhnt, aber ich hatte nicht 100 Puppen wie andere Filmstarkinder oder künstlichen Schnee zum Geburtstag. Sein Haus war auch ohne jeden Chichi, sachlich und bequem.“ Und trotzdem gingen hier die aus Europa emigrierten Künstler ein und aus, besonders Musiker wie Bruno Walter, Arthur Rubinstein oder Vladimir Horowitz.

Billy Wilder war zu schnodderig

Ja und auch die Filmleute, allen voran ihres Vaters Assistent Billy Wilder. Der hat auch in Berlin eine nach ihm benannte Bar, aber auf ihn ist Nicola Lubitsch nicht so gut zu sprechen. „Viele Leute sehen ihn als Nachfolger meines Vaters, ich finde ihn ganz anders, schnoddriger, vulgärer, vielleicht moderner. Mein Vater war immer elegant und frivol, dabei aber makellos. Ich spreche nicht nur vom berühmten Lubitsch-Touch, mit dem er seine Film stilistisch veredelte, für mich sind sie immer auch eine Reise ins Lubitsch-Land, hinein in eine moderne Märchenwelt, wo alles ohne jeden Realitätsbezug ist, nur seinen eigenen Gesetzen gehorcht.“

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Kein Wunder, dass ihr Lieblingsfilm „Ninotschka“ heißt: „Da ist gar nichts real, weder Paris, noch Moskau, doch vor einem sehr ernsten, zeitgeschichtlichen Hintergrund gelangen meinem Vater wunderbare Kapriolen der Gefühle, die keinen Moment alt geworden sind.“

Späte Töchter früh gestorbener Väter

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Und mit diesem Film verbindet sie noch mehr: „Die Musik ist von Werner Richard Heymann, mit dem Daddy sechsmal zusammengearbeitet hat. Sein Ninotschka-Walzer macht mir bis heute gute Laune, und außerdem bin ich mit seiner Tochter Elisabeth gut befreundet, auch über den Atlantik hinweg. Wir sind beide späte Töchter von Vätern, die früh gestorben sind. Ich finde ganz toll, wie sie das klingende Erbe ihres Vaters lebendig hält.“

Nicola Lubitsch, die sich als Schauspielerin und Radio-Autorin langsam wieder an den sehr speziellen Kosmos von Los Angeles herantastete, erst mit ihrem Mann, einem Lehrer, und vielen Pferden und Hunden nach Arizona zog, dann weiter gen Westen, hat es da leichter. Bei dem Namen Lubitsch muss man nichts erklären, „er hat seinen Rang als Klassiker bewahrt, obwohl ich mir wünschen würde, besonders seine deutschen Stummfilme würden noch stärker beachtet. Die finde ich unglaublich modern und spritzig.“

Ein Klavier von Jeanette McDonald

Wie viel von ihrem Vater findet sie in den Filmen? „Sehr viele Spuren seiner Persönlichkeit, sogar seine Schrullen. Er schlief immer nur im Pyjama-Oberteil, die Hosen wollte er nie. Und so lässt er in ,Blaubarts achte Frau’ Gary Cooper ein ganzes Kaufhaus durcheinanderwirbeln, weil der ebenfalls nur ein Oberteil kaufen will. Die Gewohnheit meines Vaters als klassischer Filmspaß, das rührt mich immer noch. Oder nehmen Sie Jeanette McDonald, mit der er seine schönsten frühen Musicals gedreht hat. Die war wirklich eine gute Freundin, sang immer bei uns zu Hause, hat uns sogar das Klavier geschenkt, das ich noch besitze. Und bei Daddys Beerdigung hat sie dann ,Beyond the Blue Horizon’ gesungen.“ Wie war sein Verhältnis zu Marlene Dietrich? Da muss Nicola Lubitsch passen. „Ich weiß es wirklich nicht, es gibt so viele widerstreitende Geschichten. Ihre Tochter Maria Riva glaubt, sie hätte ihn nicht gemocht, ihn als herrisch empfunden. Dabei waren beide Perfektionisten, er hat immer seine Filme schon vorher im Kopf gehabt, sie war auf ihre Wirkung bedacht, besonders weil sie inzwischen als Kassengift galt. Leider wurden ihre beiden gemeinsamen Filmen kein Erfolg, obwohl ich ,Angel’ mit der Zeit als immer ebenmäßiger und klassischer empfinde. Eine wunderbare Comedy of Manners. Marlene kam schließlich zu ihm zurück. Und dann gibt es Gerüchte, sie sei die erste an seinem Totenbett gewesen, noch im Hausrock und Pantoffeln.“

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Nicola Lubitsch mag nur eine vielfach auf Hörensagen und Empfindungen eines Kindes beruhende Erinnerung an ihren Vater haben, doch sie hat ein sicheres Urteil, ist präzise, charmant, durchaus Eigenschaften, die man auch ihrem Vater nachsagt. Und sie schweigt still, als plötzlich ein alkoholisierter Mann vorbeischlurft, ihr Englisch hört, auf die Lubitsch-Tafel hinter ihr deutet und sie grammatikalisch nicht eben korrekt anfährt: „Do you know who this man was? Lubitsch! A great Austrian movie director, who had to flee before Hitler“. Nein, der Mann mit der Edeka-Tüte war nicht bestellt. Und sie lüftet auch nicht ihre Identität, stellt aber die sachlichen Fehler fest: „Er war Deutscher. Und er ist schon vorher gegangen, weil er in Amerika arbeiten wollte.“

Lubitsch sagte immer „Landjäger“

Natürlich war Nicola Lubitsch da, als an seinem Geburtshaus Schönhauser Str. 183 eine Gedenktafel enthüllt wurde. Und auch die Gräber ihrer Ahnen auf dem jüdischen Friedhof hat sie besucht. Aber sonst ist sie doch durch und durch Amerikanerin. „Ich habe ein wenig Deutsch gelernt, weil ich mit Gottfried Reinhardt, dem Sohn von Max, sehr gut befreundet war, ebenso wie mit den Töchtern des Filmproduzenten Mervyn LeRoy und des deutschstämmigen Regisseurs William Wyler sowie der wunderbaren Salka Viertel. Wir waren oft in Europa, aber ich habe die Sprache nie wirklich geübt.“ Doch an ein paar Brocken „Küchendeutsch“ erinnert sie sich. „Schnitzel, Leberwurst, Mettwurst, Landjäger“, davon hat Daddy immer geschwärmt und diese Ausdrücke hat er immer besonders zärtlich gebraucht.“

Ja, Nicola Lubitsch hat, wie so viele Hollywood-Kinder, mit der Filmindustrie geliebäugelt. Sie hat schnell ihre Grenzen erkannt. Heute ist sie gerne Tochter, beobachtet, wie sich Vater Lubitschs Werk neuen Generationen erschließt, freut sich, wenn der Turner Movie Channel Retrospektiven mit in Amerika wie Stars verehrten Kommentatoren ausrichtet, wenn die Filme in restaurierten neuen Ausgaben erscheinen, wie bald „Sein oder Nichtsein“.

Sie ist gerne Tochter, „denn ich werde nie müde, diese Filme zu sehen, und so habe ich immer wieder offiziell Gelegenheit.“ Das ist der letzte Satz. Die Zeit drängelt. Das nächste Interview wartet. Und im Lubitsch hat keiner gemerkt, dass eine bescheidene Lubitsch da war.

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